Frisch geduscht, mit gewaschenen Kleidern und Trekkingschuhen, welche endlich keine Spuren aus Vulkanasche mehr hinter sich herziehen, wurden wir nach zwei Nächten in Moshi von Victor, unserem Guide und Fahrer, für die zweite Etappe unserer Flitterwochen abgeholt. Victor, welcher ursprünglich vom Volk der “Chagga” abstammt (diese leben grösstenteils im Dorf Marangu, welches Ausgangspunkt der Kilibesteigung war), hat mit seinen am Berg lebenden “Stammesangehörigen” nicht viel gemeinsam: eher etwas fest gebaut, vom Typ her gemütlich und darüberhinaus sehr kommunikativ, gibt es nur drei Dinge, die ihn aus der Ruhe bringen können:
- Jemand verhält sich gegenüber “seinen” Touristen unprofessionell und erbringt nicht die gebuchte bzw. erwartete Leistung –> es wird lautstark ausgerufen
- Er hat sich verfahren (und zwar so stark, dass er es gegenüber uns auch zugeben muss) –> es wird genauso lautstark ins Funkgerät geflucht
- Er ist unter zeitlichem Druck und muss deshalb schneller fahren, als seine “80 kmh-Wohlfühlgeschwindigkeit” (z.B. wenn wir zu einer vorgegebenen Zeit einen Nationalpark zu verlassen hatten), was seinem liebevoll gepflegten Toyota-Landcruiser mit aufklappbarem Dach und Tuning der Marke Eigenbau (z.B. Spannungswandler und richtige Steckdosen an jedem Sitzplatz, damit man seine Kamera wieder laden kann) hätte schaden können –> es herrscht Totenstille im Wagen (kam sonst nie vor)
Anhand seiner Redseligkeit und des damit einhergehenden Lautstärkepegels konnte man nicht nur Victor’s Befindlichkeit einschätzen; viel Geschwätz und hohe Lautstärke hatten auch andere Effekte: positive (einige heisse Tips für Tiersichtungen waren Resultat des regen Funkverkehrs zwischen Victor und anderen Fahrern) und manchmal auch negative (wenn z.B. eine ganze Gnu-Herde leiser war, als unser Fahrer oder wenn die vereinbarte Zeit zur Weiterfahrt wieder einmal um 30 Minuten überschritten wurde).
Der erste Safari-Tag führte uns von Moshi via Arusha (drittgrösste Stadt Tansanias und Sitz des internationalen Strafgerichtshof in Afrika) in den Tarangire-Nationalpark. Auch die “Heimat der Elefanten” genannt, bietet dieser Park eine enorme Dichte an Tieren in unmittelbarer Nähe zur Grossstadt. Da die “Touri-Dichte” deswegen noch fast grösser ist und sich die Tiere den Trubel gewohnt sind, kommt es zu teilweise seltsamen Verhaltensweisen: Löwen liegen mitten auf der Strasse und bewegen sich keinen Meter, die “Spatzen Afrikas” (Stare) und die Paviane haben verlernt zu jagen und zu sammeln und bedienen sich lieber an den Lunchboxen der Touristen, etc. Dies ist schade und nicht sehr natürlich, dafür haben wir bereits am ersten Tag fast alle grösseren Tierarten gesehen: Elefanten, Löwen, verschiedene Antilopen und Gazellen (die Viecher stinken echt), einen Geparden (von weit weg), Gnus, Zebras, Giraffen, Warzenschweine, Paviane, Dik-Dik’s (kleinste Antilope der Welt), etc. Auch die Baobab-Bäume, welche ohne Blätter und Früchte aussehen, wie “umgedrehte Bäume” (die feinen Äste sehen im Gegensatz zum dicken Stamm aus wie Wurzeln) waren bereits zu sehen. Deren dicke Rinde ist aufgrund des vielen gespeicherten Wassers bei Elefanten besonders beliebt und wird von diesen darum abgeschabt, so dass regelrechte Löcher in den Bäumen entstehen.
Entsprechend war der “Kilometermarathon” vom Lake Manyara via Ngorongoro-Massiv, Süd- und Zentralserengeti bis hin zum nördlichsten Teil der Serengeti an der Grenze zu Kenia (rund 400 km) am nächsten Tag nicht ganz so mühsam. Für etwas Kurzweil sorgten sicherlich auch die Massai: dieses Nomaden- und Kriegervolk lebt bis heute praktisch ausschliesslich von der Viehzucht. Ackerbau wird so gut wie nicht betrieben und auch ein spezielles Handwerk existiert nicht (in den Städten sind die wenigen sesshaften Masai aufgrund ihrer eher kriegerischen Haltung gefragte Securities). Entsprechend einseitig ist auch die Ernährung: Milch, Milch gemischt mit Reis, Milch gemischt mit Mais und als besonderes vitamin- und eisenhaltiges “Leckerli”: Milch gemischt mit Tierblut (mittels Aderlass gewonnen, so dass Tier überlebt).
Früher lebten die Massai im gesamten Gebiet der Serengeti und der Masai Mara in Kenia. Als diese riesigen Savannen-Ebenen jedoch zum Nationalpark erklärt wurden, wurden die Massai ins Ngorongoro-Massiv umgesiedelt. Sie leben auf dem Kraterrand und den äusseren Hängen des ehemaligen Vulkans und sind die einzigen Menschen, welchen es tagsüber erlaubt ist, ihr Vieh in den fruchtbaren Krater zu führen und dort zu weiden. Da dort sehr viele Raubtiere leben, kommt es aber immer wieder einmal zu Zusammenstössen oder wie es Victor formuliert hat: “If Massai good warrior and lucky – lion dead. If not – Massai dead.”
Da auch in Tansania mit Viehzucht niemand mehr reich wird, viele Frauen zu haben aber teuer ist (bei den Massai ist Polygamie erlaubt und verbreitet, vorausgesetzt, dass der Mann vermögend genug ist), haben sich so einige findige Massai-Familien eine neue Geldquelle erschlossen: für 50 Dollar pro Fahrzeug (bei einem durchschnittlichen Pro-Kopf-BIP von 695 US-Dollar im Jahre 2013 ein kleines Vermögen) kann man ihr kleines Dorf besichtigen. Im Preis inbegriffen sind ein Willkommens-Ständchen, ein “Jumping-Contest” (die Beliebtheit von jungen Massai-Männern bei den Frauen ist umso grösser, je höher sie aus dem Stand springen können; Nicola wäre entsprechend eine miese Partie. allerdings geht er davon aus, dass die Massai aufgrund ihres Schuhwerks aus alten Autoreifen auch einen kleinen Vorteil haben ) und eine private Führung durch die eher primitiven Hütten (ca. 9 m2 pro Hütte; darin eine Küche/Essraum, ein Kinderzimmer und ein Elternschlafzimmer). Gegen eine weitere Spende kann man auch den Kindergarten in vollem Betrieb besichtigen, wobei wir aufgrund des dichten Taktes an Touri-Autos bezweifeln, dass hier nicht auch noch eine gewisse Prise Show dabei ist. Sonst müssten diese Kinder etwa 10 Stunden am Tag büffeln… Ein Massai-Dorf ist übrigens immer gleich aufgebaut: ein Ring aus einfachen Lehmhütten und einem “Viehstall”, welcher zum Schutz vor wilden Tieren von einer einfachen Holzpalisade umgeben ist.
Nach dem “Massai-Paradies” (Victor’s Ausdruck für die Hänge des Vulkans) ging es hinein in die unendlichen Ebenen der Serengeti. Im Süden aufgrund der beginnenden Trockenzeit bereits heiss und staubig, verdichtete sich das Grün der Graslandschaft immer mehr, je weiter wir nach Norden kamen. Entsprechend nahm auch die Anzahl der Tiere zu. Da die Zahl der Touristen wegen der Distanz zu den Städten glücklicherweise umgekehrt proportional abnahm, verhielten sich die Hyänen, Geier, Krokodile und Nilpferde auch wesentlich natürlicher. Insbesondere die drei jungen männlichen Löwen, welche neben einem Brunnenhäuschen Schatten und Abkühlung suchten, waren ein erhabener Anblick. Dies lag sicher auch daran, dass sie im Gegensatz zu ihren Verwandten im Tarangire-Nationalpark sogar kurz den Kopf hoben, um uns Neuankömmlinge zu betrachten…
Weil Victor aufgrund des typisch afrikanischen Optimismus die Fahrstrecke bis zur gebuchten Unterkunft hemmungslos unterschätzt hatte, kamen wir auch noch in den Genuss einer “Safari by Night”, welche dazu führte, dass wir uns weiter verfahren haben und schlussendlich an einem geschlossenen Grenzübergang zu Kenia standen. Gesehen hat man Nachts – abgesehen von einigen seltsamen, dunklen Gestalten an der Grenze – übrigens nichts, weshalb wir ganz froh waren, als unsere Unterkunft endlich in Sicht kam und wir von Andrew – unserem Butler – in Empfang genommen und zum fürstlichen, 4-gängigen Abendessen auf unserer Veranda geleitet wurden… Ähm, Butler? Veranda? 4-Gänger?
Keine Sorge, wir hatten weder einen Sonnenstich, noch hatten wir zu viel Milch mit Blut getrunken. Es handelte sich einfach um eine sog. “tented Lodge” (riesige und fixe Zelte auf einer Holzplattform), welche wir uns speziell für unsere Hochzeitsreise ausgesucht hatten. Unser “Zelt” war entsprechend eher eine grosse Wohnung, mit grossem Schlafzimmer, einem Bad mit separatem WC und Regendusche und riesigem Outdoor-Bereich mit Esstisch, Sofa-Lounge (statt TV gibt es freie Sicht auf die Savanne) und Whirlpool. Im Preis inklusive ist auch der eigene Butler, mehrere Security-Mitarbeiter (geleiten einen zwischen Dämmerung und Morgengrauen zum Zelt) und alle Mahlzeiten, sowie die Safaris tagsüber. Da man mitten in der Wildnis ist und die Tiere nicht davon abgehalten werden, das “Hotelgelände” zu durchqueren, hört man nachts sehr viele spannende Geräusche. So war der Name unseres Zeltes (Löwe) Programm und wir hörten in einer der Nächte ein ganzes Rudel bei der Jagd.
Nach dem Frühstück konnten wir die Löwen zwar nirgends mehr finden, dafür haben wir aber einen anderen Vertreter der “Big 5” bei seiner ersten Mahlzeit des Tages gestört: keine zwei Minuten vom Camp entfernt stiessen wir auf einen Leoparden, welcher gerade eine Gazelle gerissen hatte und diese genüsslich verzehrte. Als er uns sah, ist ihm der Appetit aber wohl irgendwie vergangen: er ergriff die Flucht und wir waren mit der halben Gazelle allein…
Etwas weniger Glück hatten wir mit den Gnus, welche um diese Jahreszeit aufgrund der beginnenden Trockenzeit in Richtung Norden unterwegs sind: wir haben zwar tausende gesehen, gerochen und gehört…die erhoffte Flussüberquerung, welche zweifellos als eines der Safari-Highlights gilt, weil die nicht sehr intelligenten Tiere in Lemming-Manier durch den Fluss stürmen und damit den wartenden Krokodilen direkt in den Mund, fand trotz stundenlangem Warten nicht statt. Bei Rückkehr ins Camp war die Enttäuschung aber schnell vergessen, da “unser” lieber Andrew seine Honeymooner überraschen wollte und im Whirlpool auf der Veranda bereits ein “Rosenbad” hergerichtet hatte.
Und damit noch nicht genug: vor unserer Abreise am nächsten morgen wurden wir eine Stunde früher als geplant geweckt und “entführt”. Per Jeep ging es auf eine höhergelegene Lichtung, wo bereits ein Buffet aufgebaut war. All diese wundervollen Speisen, ein Gläschen Champagner und der Sonnenaufgang über der Savanne. Einfach perfekt! Entsprechend schwer fiel uns der Abschied, insbesondere da eine lange Rückfahrt zurück zum Ngorongoro-Krater vor uns lag. Die Bedrücktheit war aber nur von kurzer Dauer, überraschte uns doch auch die Natur mit zwei ganz besonderen Momenten: wir sahen einen “kleinen” Teil der Gnu-Wanderung (mehrere Tausend Gnus und Zebras auf einem Haufen) und – als absolutes Highlight – ein riesiges Löwenrudel mit mehr als 20 Weibchen, Jungtieren und einem Pascha, welches von Menschen noch völlig “unverdorben” war und auf unsere Anwesenheit entsprechend ungehalten reagierte. Entgegen unserer Befürchtung wurde Victor nicht gefressen (er hat sein Handy in zwei Metern Entfernung von den Löwen mit ausgestrecktem Arm zum Fenster rausgehalten, um ein Foto zu machen) und wir kamen dieses Mal pünktlich in unserer Unterkunft auf dem Krater des Ngorongoro an.
Nach einer – trotz Kaminfeuer im Zimmer – kalten Nacht auf 2400m ü.M. mit stinkenden Wasserböcken vor dem Fenster fuhren wir in den ca. 600m tiefen Krater. Dieser bildet ein einzigartiges Ökosystem mit einer der grössten Raubtierdichten der Welt. Da dies wohl auch auf die Touristen zutrifft, ist hier aber eher wieder “Zoo-Feeling” angesagt. Immerhin haben wir die Hyänen wesentlich näher gesehen und durften die Geburt einer Thompson-Gazelle beobachten. Ausserdem wurden wir Zeugen der Jagd auf Japaner bzw. deren Lunchbox (durch Adler, welche sich ebenfalls an den Menschen gewohnt haben) und sahen unzählige Nilpferde beim Chillen im Schlamm. Die oft erwähnten Nashörner blieben aber leider in den dichten Wäldern versteckt…
Der letzte Safari-Tag war mit Abstand der unspektakulärste, was sicherlich an einer Art “Sättigung” liegen dürfte (“Oh nein, nicht schon wieder ein Elefant/Löwe/Gnu/Zebra!”), andererseits aber auch am Nationalpark selbst: der Lake-Manyara-Nationalpark ist stark bewaldet, wodurch die Sichtung von grossen Tieren sehr viel schwieriger ist. Andererseits gibt es viele Paviane und zahlreiche exotische Vogelarten, wie bspw. Kingfisher, Pelikane, Störche, gekrönte Kraniche, Sekretärvögel (heissen wirklich so), Perlhühner, etc. zu sehen. Leider sind die Vögel nicht die einzigen geflügelten Tiere hier und so hatten wir auch einige unliebsame Begegnungen mit den – aus Sicht von Menschen in Autos – gefährlichsten Tieren: den Tse-tse-Fliegen. Und obwohl wir werde schwarze, noch blaue Kleidung trugen und überdies gefühlt eine Dose Insektenspray eingesprüht hatten, wurden wir dreimal von den Viechern gebissen. Nachdem wir aber auch drei Wochen nach Safariende keine Symptome der gefürchteten Schlafkrankheit aufweisen, können wir davon ausgehen, dass die Mathematik auf unserer Seite war (Infektionswahrscheinlichkeit 0.1%). Glück gehabt!