Nun sind wir also endlich wieder “on the road” und wir freuen uns, das vielfältige Indien entdecken zu können. Da wir uns aufgrund unseres Hilfsprojektes ja bereits im Bundesstaat Rajasthan befinden, liegt es nahe, unsere Indienreise in dessen Hauptstadt Jaipur zu beginnen. Nachdem wir an unserem ersten Tag in Jaipur ein etwas anderes “Sightseeing-Programm” – bestehend aus einem Festmahl im Mc Donalds (jaaa, endlich wieder Fleisch!!! Ohhh nein, es gibt nur Chicken!!! ) und ausgiebigem Shopping, bei welchem nun auch Nicola “indisch” eingekleidet wurde – absolvierten, sah unser Plan eigentlich vor, dass wir das Amber Fort (grosse Festungsanlage inklusive Palast auf einem Hügel vor der Stadt) und den Palast der Winde (so genannt, weil seine Front aus 365 Fenstern besteht, welche einerseits das Gebäude kühl halten und andererseits den feinen Damen der Stadt früher dazu dienten, das Geschehen auf der Strasse zu beobachten, ohne dabei selbst gesehen zu werden) besichtigen. Doch wie so oft in Indien kam es anders als wir dachten….
Als wir nämlich – natürlich hart verhandelnd – die Reihen der Tuk-Tuk-Fahrer am Bahnhof abschritten und dabei wohl gar zu dreiste Preisvorstellungen hatten, wurden wir von einem Herrn “aufgegabelt”, welcher einerseits sofort unseren “Dumping-Bedingungen” zustimmte und uns andererseits zu seinem äusserst charmanten Oldtimer (Fabrikat “Hindustan-Motors”, Baujahr 1965) führte. Wie wir uns bereits zu Beginn gedacht hatten, hatte die Sache jedoch einen Haken: er würde uns entweder, wie versprochen, für den äusserst niedrigen Preis zum Palast der Winde fahren und uns in Ruhe lassen oder aber wir könnten uns von ihm einen halben Tag lang zu all den Sehenswürdigkeiten fahren lassen, wo er dann wieder auf uns warten würde. Und das Ganze lediglich für umgerechnet 10 Franken! Allerdings, so informierte er uns, müsste er uns am Ende der Tour noch zu einem Juwelier und in einer Schneiderei bringen…Ob wir dort etwas kaufen oder nicht, sei jedoch uns überlassen. Da wir uns in Sachen Verhandlung für harte Hunde hielten (inzwischen sind wir teilweise eines besseren belehrt worden ), stimmten wir dem Angebot zu. Und der Tag mit Alibaba (so hiess unser Fahrer) hat sich wirklich gelohnt: wir sahen nicht nur das Fort und den Palast der Winde, sondern auch eine wunderschöne, marmorne Grabstätte (Royal Raigor) und den versunkenen Palast (welcher eigentlich gar nicht versunken ist, sondern von einem Maharadja mit Absicht in einen See hineingebaut wurde, sodass ein Stockwerk unter dem Wasserspiegel liegt, das andere darüber. Da Wasser ja bekanntlich ein sehr guter natürlicher Wärme- und Kältespeicher ist, schlief die Herrscherfamilie im unteren Stock, wo es im Sommer angenehm kühl und im Winter etwas wärmer war und lebte im oberen, licht- und winddurchfluteten Bereich). Darüber hinaus führte er uns für das Mittagessen in ein exzellentes und relativ preiswertes Lokal in Jaipur (obwohl es sich wohl hauptsächlich an die indische Oberklasse richtet, kostete das komplette Menü umgerechnet nur gut 2 Franken).
Zum Schluss kamen dann – wie bereits angedroht – noch zwei Shops: Der erste – ein Juwelier – war für uns als Kenner arabischer Basars, keine Herausforderung, d.h. wir haben nichts gekauft (die Händler machten es uns auch verhältnismässig einfach, da sie für durchschnittliche Silberware völlig überrissene Preise verlangten, welche so wohl auch niemand in der Schweiz bezahlen würde…). Die Schneiderei, welche dann als nächstes folgte, war da schon ein härterer Brocken und wir haben einige “Kleinigkeiten” gekauft: ein komplettes Set an Bettwäsche (natürlich in hellblau ), Geschenke für unsere Eltern (was genau, sei an dieser Stelle noch nicht verraten), 2 massgeschneiderte Hemden (Nicola) und einen weiteren – extrem aufwändigen – Punjab für Jenny (traditionelles indisches Gewand, bestehend aus Oberteil, langer Hose und Schal; wurde aus einem 6 Meter langen Sari genäht). Klar haben wir für all dies (und das DHL-Porto für den Versand in die Schweiz) einiges bezahlt (zumindest für indische Verhältnisse), aber die Schneider waren sehr nett, die Stoffe von bester Qualität und Bier gab es auch (indisches “Strong Beer” hat übrigens 8%). Wir würden also allen, welche sich einen Anzug bzw. ein Kleid anfertigen lassen möchten, anraten, dies in Zukunft in Indien zu tun und nicht in Südostasien (die Schneider dort sind nämlich auch alles Inder, sind aber teurer als in ihrem Heimatland selbst).
Nach diesem Shopping-Exzess wurden wir von Alibaba zurück zu unserer Unterkunft gefahren. Er liess es sich darüber hinaus nicht nehmen, uns am nächsten Tag wieder abzuholen und zum Bahnhof zu fahren, sowie uns ausgiebig vor unserem nächsten Ziel (Agra) und dessen “Abzocker” zu warnen: die Stadt selbst sei die schmutzigste und hässlichste in Indien und die Touri-Fänger hätten dort eine ganz fiese Methode entwickelt, mit welcher sie die Leute übers Ohr hauen würden. Sie würden die ahnungslosen Opfer in ein günstiges Hotel fahren (bei welchem sie natürlich den Besitzer kennen), wo ihnen dann verdorbene bzw. vergiftete Lebensmittel vorgesetzt würden. Wenn sie dann krank geworden sind, wird ein (verwandter oder befreundeter) Arzt gerufen, welcher zahlreiche und völlig überteuerte Medikamente verschreibt, um die Krankenkasse des Gastes auszunehmen.
Und wie war Agra wirklich? Die “Touri-Fänger” gibt es natürlich wirklich, allerdings haben wir sie lediglich in ihrer “normalen” Form angetroffen; sprich mühsame Tuk-Tuk-Fahrer, welche einen vom Bahnsteig bis zum Parkplatz verfolgen und völlig überhöhte Fahrpreise verlangen oder einen in das Hotel “eines guten Freundes” fahren möchten. Darüber hinaus waren einige von ihnen betrunken. Auch die “Händler mit arabischen Wurzeln” gibt es rund um das Taj Mahal. Allerdings kann allerhöchstens ein Teil ihrer Grosseltern aus dem arabischen Raum stammen, da sie lange nicht so aufdringlich sind, wie bspw. ihre marokkanischen Kollegen . Aber nun zu den guten Neuigkeiten: Agra ist lange nicht so schmutzig, wie befürchtet, unser Hostel war einfach der Hammer (modern, günstig, Zimmer mit Klimaanlage, sauber, exzellentes Essen und das Beste…nur 500 Meter vom Osteingang des Taj Mahal gelegen!) und überlebt haben wir es auch (liebe Krankenkassen, ihr könntet uns eigentlich einen Prämienrabatt gewähren, so aktiv wie wir versuchen, euch Kosten zu ersparen
). Und eines sei hier noch speziell hervorgehoben: Das grosse marmorne Grab (= Taj Mahal) ist gewaltig, beeindruckend und jede Rupie Eintrittspreis wert (und dieser beträgt für Touristen völlig überrissene 750 Rupien, wohingegen die Einheimischen lediglich 20 bezahlen!). Da wir bereits morgens um 05:40 vor dem Eingangstor standen und sich der Torwächter dazu berufen fühlte, uns (natürlich gegen ein grosszügiges Trinkgeld) über das Gelände zu führen und die besten Fotopunkte zu zeigen, waren wir ausserdem die Ersten (!!!) vor diesem Weltwunder und konnten einige Bilder schiessen, auf welchen keine Touristen zu sehen sind! Da wir darüber hinaus leider keine Tickets für den gewünschten Zug nach Varanasi erhielten (siehe auch weiter unten), hatten wir noch einen Tag Zeit, die sehenswerten Dinge rund um das Taj zu bewundern, wie etwa den “Taj Nature Trail” (gigantische Parkanlage mit Teichen und zahlreichen Pfauen; ohne jegliche Touristen) oder das (stinkende) Flussufer östlich neben dem Taj Mahal, von welchem man den Sonnenuntergang geniessen kann. Die übrige Zeit haben wir genutzt, um uns (ganz ohne Lebensmittelvergiftung) einige Kilo aufzufuttern und ein, zwei Kingfisher zu trinken
Weil wir seit unserem Start in Jaipur sowieso in erster Linie Grabstätten besichtigt haben, dachten wir uns, dass wir unsere Reise durch Nordindien mit einem Besuch von Varanasi, der heiligsten Stadt Indiens wenn es ums Sterben geht, abschliessen könnten. Und so haben wir unseren ersten Nachtzug bestiegen uns sind 13 Stunden gen Südosten gefahren. Und auch dieser Nachtzug hat uns ein weiteres Mal von der Qualität der indischen Bahn überzeugt (vorausgesetzt, dass man zuerst einmal ein Ticket dafür erhält…). Seit wir angekommen sind, wissen wir jetzt auch, weshalb es im Englischen den Begriff “Holy Shit” gibt. Dieser umschreibt Varanasi aus unserer Sicht nämlich ziemlich exakt: alles hier ist irgendwie heilig (die Kühe, die Ziegen, die Pfauen, die Pferde, der Fluss, die Toten, etc.), gleichzeitig aber auch heruntergekommen, schmutzig und stinkend (der Müll wird einfach an den Strassenrand geworfen und anschliessend von den Tieren gefressen; Menschen verrichten ihr Geschäft direkt am Flussufer, waschen gleichzeitig ihre Kleider und sich selber aber nur einige Meter davon entfernt im Fluss; die gesalbten Toten werden am Flussufer verbrannt und ihre Asche anschliessend im Strom versenkt; das filtrierte Flusswasser, welches aus dem Wasserhahn fliesst, ist so verschmutzt, dass es Hautrötungen und Jucken verursachen kann, etc.). Trotz diesen Umständen und der Tatsache, dass das Gehen auf den Strassen Varanasis einem Spiessroutenlauf mit geringer Überlebenswahrscheinlichkeit gleichkommt, übt die Stadt eine gewisse Faszination aus: wo sonst auf der Welt werden 24 Stunden am Tag Menschen öffentlich kremiert? Wo sonst kann man jeden Abend eine Gottes-Verehrungszeremonie (sog. “Punjar”) aus nächster Nähe beobachten? Wo sonst reisen Gläubige aus der ganzen Welt hin, um ein Bad in einer Kloake zu nehmen?
Damit man diese Dinge in Ruhe und ohne die meisten der oben genannten Nachteile sehen kann, empfehlen wir je eine Bootfahrt bei Sonnenaufgang (Beobachten der Gläubigen beim Morgenbad und –wäsche, sowie herrliche Stimmung) und Sonnenuntergang (Verfolgen der Zeremonie) zu buchen. Dies erspart einem eventuell auch Begegnungen der unangenehmen Art, wie wir sie erlebten, als wir zu Fuss das Ghat (= Zugang zum heiligen Fluss; meist treppenförmig) erkunden wollten, an welchem die Toten verbrannt werden: wir wurden gleich am Eingang von einem aggressiven (vermutlich unter Drogen stehendem) Mann unfreundlich darauf hingewiesen, dass man den Toten gegenüber Respekt zeigen und auf Fotos verzichten solle (wussten wir bereits und hatten auch nicht vor, Fotos zu schiessen). Er wollte ausserdem, dass wir ihm zu einem “Aussichtspunkt” folgen. Da wir aber bereits genügend solcher “Möchtegern-Guides” gesehen haben und sie sowieso immer nur auf unser Geld scharf sind, haben wir dankend abgelehnt und einen anderen Weg eingeschlagen. Dies schien ihm jedoch überhaupt nicht zu passen. Er stürmte uns hinterher und riss Jenny sogar grob am Arm zurück, worauf wir beschlossen, den Ort wieder zu verlassen! Sollte er doch im Fluss baden gehen
Kommen wir nun aber wieder zu denjenigen Dingen, welche uns immer wieder auffallen und noch lange in (positiver oder negativer) Erinnerung bleiben werden:
- Die Sache mit den Zugtickets: Liebe SBB, wir versprechen dir, dass wenn wir wieder heil in die Schweiz zurückgekehrt sind, wir uns nie mehr über Verspätungen, Fahrleitungsstörungen oder unfreundliche deutsche Schaffner beschweren werden (gut, bezüglich Letzterem kann dir zumindest Nicola kein 100%-iges Versprechen geben
)! Indische Züge sind zwar komfortabel und sehr günstig, in der Regel aber verspätet und vor allem nur über ein extrem komplexes Buchungssystem mit gefühlten 9’735 Sonderregelungen buchbar! Abgesehen von den “normalen” Tickets, welche in der Regel schon 90 Tage vor Abfahrt (also am Tag des Verkaufsstarts) restlos ausverkauft sind, gibt es noch “Waitlist-Tickets” (man kommt auf eine Warteliste und wenn man Glück hat, storniert jemand anderes sein Ticket und man rückt vor; ist dies nicht der Fall, verfällt das Ticket automatisch), “Reservation Against Cancellation – Tickets” (ähnlich wie Warteliste, allerdings mit dem Unterschied, dass man (in einer unteren Klasse) fahren muss, wenn niemand einen Platz in der gewünschten Klasse freigibt), “Tatkal – Tickets” (ein prozentualer Anteil der Tickets, welche erst 24 Stunden vor Abfahrt in den Verkauf gegeben werden, dafür aber teurer sind), “Tourist Quota” (gewisse Züge haben Plätze nur für ausländische Touristen), “VIP Quota” (dasselbe, einfach nur für wichtige Politiker, etc.) und “Special Quota” (keine Ahnung, für was die sein soll). Alles klar? Fazit: Wenn man sich erst einmal an das System gewöhnt hat, kommt man zwar schon immer irgendwie an ein Ticket (unter anderem vielleicht auch mit Aussagen wie “ich muss gaaaaaaanz dringend noch heute nach Varanasi, um mich von meinen schrecklichen Sünden zu reinigen”
), dies allerdings nur, wenn man improvisieren kann und in den eigenen Reiseplänen einigermassen flexibel ist.
- “All the meals are cooked using mineral water”: In welcher Stadt denkt ihr, dass diese Aussage auf die Speisekarte gedruckt wurde? Richtig!!! In Varanasi! Und da sage noch einer, dass dieser Fluss und die Stadt sauber sein soll (kein Inder würde sich getrauen, etwas anderes zu sagen)…
- “Hoffentlich hat weiter hinten keiner das Fenster geöffnet…”: Dies waren unsere Gedanken, als unser indischer Nachbar im Zugabteil uns zeigte, wo und wie man den Abfall vom Abendessen entsorgt (zu unserer Verteidigung sei gesagt, dass es im ganzen Zug keinen Abfallkübel gibt!): man gehe zur Tür des Waggons, öffne diese in voller Fahrt, lehne sich heraus ohne dabei ganz herauszufallen und werfe den Müll auf die Schienen. Aha…