…dann ist man entweder reif für die Klapse oder man befindet sich im Südwesten Chinas.
Auf uns trifft letzteres zu, denn unsere zweite (Ein-)Reise nach China führte uns via Shanghai (Zwischenlandung) nach Chongqing, der wirtschaftlich wichtigsten Stadt im Südwesten Chinas. Diese 29-Millionen-Metropole (jaja, Shanghai und Peking sind nicht die grössten Städte in China…) am Ende des Yangtze-Staudamm-Beckens sollte uns als Ausgangspunkt für eine Flusskreuzfahrt zu den drei Schluchten und als Einstiegspunkt in den Südwesten Chinas dienen. Nun, oft kommen Dinge anders als man denkt…
Wir hatten in Südkorea zwar nämlich mitbekommen, dass Peking überflutet wurde, von weiteren Überschwemmungen im Landesinneren vernahm man aber nichts. Und so kam es, dass wir uns im Zentrum einer Megastadt befanden, die zur Hälfte unter Wasser stand. Und das „lustigste“ dabei: keiner wusste davon (zumindest abgesehen von den unmittelbar Betroffenen). Zensur und Nachrichtensperre in Chinas Medien gehen nämlich soweit, dass selbst Naturkatastrophen praktisch keinerlei Erwähnung finden, wenn es nicht absolut unumgänglich ist! In Peking, wo zahlreiche Ausländer leben und arbeiten, war eine solche Katastrophe kaum geheim zu halten. Im Landesinneren sieht die Situation aber anders aus und wir bezweifeln, dass wir irgendetwas von den Überschwemmungen mitbekommen hätten, wenn nicht plötzlich jeglicher Schiffsverkehr auf dem Yangtze eingestellt worden wäre (und unsere Pläne von einer Kreuzfahrt damit im wahrsten Sinne des Wortes „ins Wasser gefallen“ wären)! Von derlei „staatlich verordneter Fahrlässigkeit“ beunruhigt, haben wir uns zu gewissen Zeitpunkten ernsthaft überlegt, das Projekt „China 2“ zu beenden und das Land unmittelbar wieder zu verlassen.
Nach mehrtägigem Nachdenken, gepaart mit intensiver Informationsbeschaffung (teilweise nur dank „illegaler“ Mittel wie einem VPN-Client möglich), haben wir dann beschlossen, unserem ursprünglichen Plan eine zweite Chance zu geben und per Schnellzug nach Chengdu, der Hauptstadt Sichuans, weiterzureisen. Dort angekommen, wurden wir positiv überrascht: Hier im Westen Chinas geht das Leben wesentlich stressfreier voran, die Internetleitungen sind schneller (und teilweise dank hosteleigenem VPN-Client nicht einmal mehr „Facebook-feindlich“) und einige Chinesen stehen ihrer eigenen Regierung sogar sehr kritisch gegenüber (und stehen sogar dazu!!! Namen werden wir an dieser Stelle aus Diskretionsgründen jedoch nicht nennen). Darüber hinaus hat Chengdu auch einiges an Sehenswertem zu bieten, allem voran natürlich die Pandas. Auch wir haben die behäbigen Tiere, welche den grössten Teil des Tages bzw. ihres Lebens mit Fressen und Schlafen verbringen, ins Herz geschlossen (so wie die würden wir auch gerne leben ). Und was uns noch weit mehr erstaunt hat: es gibt sogar rote Pandas (die sehen – zumindest was ihre Statur anbelangt – zwar nicht aus wie „die richtigen“ Pandas, sollen aber angeblich zur gleichen Art gehören). Die zweite Attraktion in der näheren Umgebung von Chengdu ist der grosse Buddha von Leshan: er ist der weltweit grösste Buddha, welcher direkt aus dem Stein geschlagen wurde. Ein Besuch lohnt sich auch definitiv hier, allerdings erfordert er Nerven aus Stahl und die Bereitschaft, jeglichen westlichen Anstand für einen halben Tag zu vergessen (die – überwiegend in Gruppen reisenden – chinesischen Touristen haben, zumindest dem Anschein nach, nämlich gar nie etwas gelernt, was diese Bezeichnung verdienen würde
).
Mit einer 27-stündigen Fahrt im Schlafabteil ging es dann von Chengdu nach Kunming, der Hauptstadt der Provinz Yunnan. Da die einzige Attraktion, welche wir dort besichtigen wollten (der Stadtpark), aufgrund von Rennovationen (wer zum Teufel kommt auf die saudumme Idee, einen riesigen Stadtpark komplett auf einen Schlag zu renovieren?) geschlossen war, haben wir unsere Zeit vor allem (wieder einmal) mit Planung und dem Kauf von Zugtickets zugebracht. Einzige Ausnahme war Jennys Besuch einer modern-traditionellen Gesangs- und Tanzshow.
Unsere nächste Etappe führte uns mit dem Nachtbus nach Yuanyang, einer Region mit sehr bekannten, terrassenförmig angelegten Reisfeldern in den Bergen rund um Kunming. Eine Tageswanderung durch die Dörfer und Reisfelder ist zwar schweisstreibend (wegen den steilen Auf- und Abstiegen sowie der sommerlichen Hitze) aber wunderschön und sehr empfehlenswert. Einzig bei der Auswahl der Unterkunft sollte man in diesen ländlichen Gegenden sehr sorgfältig vorgehen (zum ersten Mal seit dem Beginn unserer Reise sahen wir uns gezwungen, wegen hygienischer Unzumutbarkeit das Hostel zu wechseln).
Via Kunming ging es anschliessend weiter nach Lijiang, der letzten grösseren Ortschaft vor den Ausläufern des Himalayas. Da die Altstadt dieses Ortes wegen ihrer gut erhaltenen Gebäude einen hohen Bekanntheitsgrad besitzt und inzwischen auch die chinesischen Schulferien ihren Höhepunkt erreicht hatten, war das Stadtzentrum völlig überlaufen und die Strassen (trotz Fahrverbot) völlig verstopft. Für uns war dies jedoch nicht weiter tragisch, da wir auch hier unserer Lieblingsbeschäftigung (= Zugtickets kaufen) nachgehen mussten und die baldige Weiterreise in die Tigersprungschlucht bevorstand. Dieser zweitägige Ausflug war dann auch definitiv eines der Highlights unserer Chinareise, sowohl in Bezug auf die Anstrengung (eine rund 25 Kilometer lange Strecke; 900 Höhenmeter waren mehrfach zu bezwingen, da es immer wieder bergauf- und -ab ging; das Ganze liegt ausserdem auf einer Höhe zwischen 2‘100 und 3‘000 Meter über Meer), als auch die umwerfenden Ausblicke, extremen Erfahrungen (der Weg ist an einigen Stellen nur einen halben Meter breit, bevor es mehrere 100 Meter senkrecht nach unten geht; drei Abschnitte sind ausserdem von Wasserfällen überflutet, welche es zu durchqueren gilt) und tollen Reisebekanntschaften. Eine ganz spezielle Erfahrung war dann auch die Rückreise, da man nach ein paar Kilometern gezwungen war, den Bus zu wechseln, indem man eine ca. 100 Meter breite Geröllspur „überkletterte“: einige Wochen vor unserer Wanderung war hier ein Teil des Hangs abgerutscht und hat die Strasse einfach mitgerissen…
Zwei weitere Zugfahrten (je 8 und 13 Stunden) später waren wir in unserer letzten Destination in China angelangt. Guilin, die Hauptstadt der Provinz Guangxi, ist bekannt für die sie umgebenden Karstlandschaften, welche vom Li-Fluss durchquert werden. Da Jenny in diesen Tagen an einer Blasenentzündung litt (wahrscheinlich die Folge von unhygienischen Lebensmitteln, welche zu Durchfall führten), hat Nicola die Flussfahrt alleine gemacht. Sein Fazit: Schön, aber im Vergleich zu ähnlichen Landschaften, wie man sie bspw. in Thailand oder Vietnam findet, eher unspektakulär und mit zu vielen Touristen
Mittlerweile sind wir via Shenzhen nach Hong Kong weiter- und damit aus China ausgereist und geniessen das pulsierende Leben dieser Grossstadt. (Fast) Ohne (Festland-)Chinesen
Natürlich möchten wir auch in diesem Artikel einige bemerkenswerte Punkte des alltäglichen Lebens in China speziell hervorheben (ja, auch nach rund sechs Wochen ist noch vieles ungewohnt… einer der Gründe, weshalb wir nicht nur traurig sind, dass wir das Land verlassen können):
– Wenn sich ein Schweizer Bankfachmann im Grab umdreht…: …ist er kurz vor seinem Tod wahrscheinlich in China gewesen und seine Visa-Karte wurde aus unerfindlichen Gründen von einem Bankomaten gesperrt und eingezogen. Ist dies nämlich geschehen, erhält man von der betreffenden Bank nach Anfrage mitgeteilt, dass man seine Karte nach fünf (!!!) Arbeitstagen wieder abholen könne. Erst ein sehr übel gelaunter Kommentar, gespickt mit dem Hinweis, dass im eigenen Land das Ganze wesentlich kürzer dauert und man am nächsten Tag weiterreisen müsse, verkürzt die Wartezeit auf 24 Stunden.
– Michael Schumachers neue Karriere als Taxifahrer in Chongqing: Obwohl schon mehrfach erwähnt, wollen wir an dieser Stelle noch einmal auf den Verkehr in China eingehen. Unser heutiges Augenmerk liegt jedoch auf den Taxifahrern: diese Reiter der Apokalypse sind langfristig eines jeden Touristen Todes und wir sind ihnen – entgegen jeder Wahrscheinlichkeit – nur knapp entkommen! Den schlimmsten Vertreter dieser Gattung trafen wir in Chongqing bzw. wir sind in seinen Wagen gestiegen. Und wir sind uns sicher: Herr Schumacher hat sich einer plastischen Gesichts-OP unterzogen und wohnt nun hier! Weshalb? Er hat den Weg vom Flughafen in das Stadtzentrum innerhalb von 40 Minuten geschafft. Normalerweise dauert das ca. 1.5 Stunden! Ach ja, noch etwas: Hat ein Taxifahrer einmal – aus welchem Grund auch immer – keine Lust, einen mitzunehmen, wird man einfach stehen gelassen. Und Gründe gibt es viele: es regnet, er hat Pause, du bist ein Tourist (und nicht Chinese), etc….
– Die Lösung des „Reiseführerproblems“: Reiseführer sind schwer, brauchen viel Platz und man muss sich die Dinger unter Umständen teuer aus dem Heimatland nachschicken lassen (in China sind z.B. viele verboten, da sie Informationen zu Tibet enthalten). Die Lösung all dieser Probleme heisst Tablet. Ein solches haben wir uns in Chengdu gekauft und es ist das Geld wirklich wert. Die Beschaffung des elektronischen Spielzeugs verlief aber nach dem „südkoreanischen Prinzip“, d.h. im Elektrofachmarkt muss man über die Preise verhandeln.
– Scharf, schärfer, Sichuan: Das Essen in dieser Provinz Südchinas wird uns wahrscheinlich eine gute Vorbereitung auf das indische Curry sein: so enthält eines der typischen Gerichte hier bspw. Fleisch und Chilischoten im Verhältnis 20:80 …und sonst nichts.
– Weshalb soll man kriminelle Tätigkeiten ausüben, wenn man auch Zugtickets verkaufen kann? In etwa diese Frage dürfte sich die Mafia auch gestellt haben, bevor sie die Bahn übernahm… Aber jetzt einmal Spass beiseite: In China an ein Zugticket für ein Schlafabteil zu kommen, ist eine fast unmögliche und vor allem nervenaufreibende Aufgabe. Es existiert zwar sehr wohl ein Onlineverkauf, allerdings a) nur in chinesischer Sprache und b) nur für Inhaber einer Union-Pay-Karte (oh, ihr kennt die nicht? Dabei ist es doch wahrscheinlich eine der am weitestverbreiteten Kreditkarten…zumindest wenn man davon ausgeht, dass jeder zweite Chinese eine hat). Und so kommt es, dass man sich regelmässig zum Bahnschalter begibt und jedes Mal ca. 1-2 Stunden Schlange steht, um ein Ticket in einem Schlafabteil zu ergattern. Denn schon zwei bis drei Tage nach Verkaufsbeginn (jeweils 10 Tage vor Abfahrt des Zuges; aber Achtung! Es sind 10 Tage wenn man den heutigen mit einrechnet! Und es kommt auch auf die Stunden an!) sind alle Hard-Sleeper-Plätze weg! Plätze für den Soft-Sleeper gibt es meist nicht einmal zu Verkaufsbeginn (Mafia eben…).
– Und wie, wenn nicht mit dem Zug, kommt man von A nach B? Natürlich mit dem Bus! Dass dabei Bus nicht gleich Bus ist, ist ja logisch. Von der alten Klapperkiste mit rissigen Fenstern bis zum futuristischen Raumschiff auf Rädern, vom „normalen“ Fahrzeug mit Sitzen bis zum „Liegebus“; wenn man ein Ticket kauft, weiss man nie, was einen erwartet. Speziell die Schlafbusse unterscheiden sich dabei erheblich in Ausstattung und Komfort: es gibt solche mit Klimaanlage, solche mit Fenstern und einige mit beidem; gewisse haben Betten mit 170 cm Länge und unergonomischer Form, andere längere und flache; in einigen Bussen gibt es drei Reihen mit Doppelstockbetten, andere haben eine „Doppelbettreihe“ und eine einfache; Toiletten können vorhanden sein, müssen aber nicht (dann dient dann halt eben eine leere Flasche als Nachttopf, bzw. – im Fall von Frauen – ein leerer Plastiksack, welcher nach Gebrauch durch das (hoffentlich vorhandene) Fenster entsorgt wird), etc. Dank engelsgleicher Geduld und viel Glück beim Kauf von Bahntickets, mussten wir jedoch nur zweimal auf Busse zurückgreifen.