Zum ersten Mal seit vielen Jahren haben wir uns entschieden, für die langen Sommerferien nicht ans andere Ende der Welt zu reisen, sondern nach Island auch noch zwei weiteren, uns bis dahin unbekannten europäischen Inseln einen Besuch abzustatten: Madeira und Porto Santo. Grund für diese Entscheidung war übrigens nicht die angespannte internationale Lage, sondern die Aussicht auf ein eher unbekanntes Paradies. Leider waren die Aktivitäten der fundamentalistischen Bartträger im mittleren Osten aber vermutlich dafür verantwortlich, dass neben uns gefühlt halb Frankreich, Deutschland und England dieselben Destinationen ausgewählt haben. Mit der erwarteten kompletten „Touri-Ruhe“ war es entsprechend nicht weit her und beide Inseln nahezu ausgebucht. Da die Hotelinfrastruktur heute glücklicherweise noch gar nicht allzu viele Gäste zulässt, beschränkte sich der Grossauflauf auf einige Hotspots, welche entweder direkt mit dem Bus angefahren oder innert weniger Gehminuten erreicht werden können. Und das ist wohl DER Grund, weshalb wir totale Fans geworden sind: viel Natur, welche weitestgehend unberührt und unverdreckt ist, freundliche Einheimische, welche in Touristen nicht nur wandelnde Geldsäcke sehen, sehr frisches, saisonales und authentisches Essen anstelle des internationalen Einheitsbreis, geringe Unterschiede zwischen arm und reich, moderne aber zweckmässige Infrastruktur, kleinere Individualhotels und verhältnismässig wenig Verkehr. Verbunden mit dem angenehmen, sehr gleichmässigen Klima (tägliche Temperaturen immer zwischen 19 und 28 Grad) eine absolute Top-Destination zu (heute noch) erschwinglichen Preisen.
Ein Trip nach Madeira beginnt dabei bereits am ersten Tag mit einem kleinen Abenteuer, welches nach der Ankündigung des beginnenden Landeanflugs durch den Piloten anfängt: dieser gilt aufgrund der Lage des Flughafens zwischen Bergen und Meer als einer der anspruchsvollsten der Welt und so ist man – trotz spektakulärer Aussicht aus dem Fenster – ein bisschen froh, wenn man nach den Turbulenzen wieder festen Boden unter den Füssen hat und das moderne Gebäude des „Cristiano Ronaldo International Airport“ betritt. Der bekannteste Sohn der Insel hat übrigens nicht nur einen eigenen Flughafen, sondern auch ein Museum, ein Hotel und – wie könnte es anders sein – ein eigenes Fussballstadion. Obwohl wir bezweifeln, dass er selbst allzu oft einen Fuss auf die Insel setzt, darf man das so hier nie sagen, das käme Gotteslästerung gleich…
Dank der geringen Grösse des Flughafens ist ein Mietwagen schnell organisiert und man ist in Nullkommanichts auf den sehr guten Autobahnen unterwegs. Gewöhnungsbedürftig sind dabei lediglich die vielen Tunnels (Madeira hat mehr Löcher als ein Emmentaler Käse), die extremen Gefälle bei den Strassen wenn es einmal keinen Tunnel hat (mehr als 100 PS sind beim Mietwagen anzuraten, wenn man nicht unfreiwillig rückwärtsfahren möchte) und die ultrakurzen Autobahneinfahrten (ein Argument mehr für 100 PS plus; ideal wäre von 0 auf 100 in unter 4 Sekunden). Der unterkunftsmässige Hotspot der Insel ist dabei definitiv die Hauptstadt Funchal: die Häuser von knapp 150’000 Einwohner drängen sich an den Hügeln um den Hafenbereich, welcher übrigens wohl die einzigen paar Quadratmeter flachen Boden der gesamten Insel beinhaltet. Die Hotels sind meist klein aber sehr ausgefallen und befinden sich oft in ehemaligen Landhäusern mit riesigen Gärten darum herum. Apropos Gärten: diese sind hier neben CR7 (Cristiano Ronaldo) wohl die Hauptattraktion: es gibt den „offiziellen“ botanischen Garten, den Orchideengarten, den „Palastgarten“, den tropischen Garten und Dutzende weitere, liebevoll gepflegte Gartenanlagen, in welchen Pflanzen aus der ganzen Welt wachsen – man nennt Madeira schliesslich nicht umsonst „Blumeninsel“. Dieser Vielfalt begegnet man auch auf den zahlreichen, sehr empfehlenswerten Wanderungen auf der ganzen Insel: von den Kakteen an der trockenen Südküste, über die uralten Zedern im hügeligen Zentrum, bis zu Nadelbäumen in den hohen Bergen ist hier alles zu finden. Die Wanderwege sind meist in exzellentem Zustand, gut gesichert und sehr oft spektakulär, man darf sich jedoch nicht vor „Treppen-Marathons“ scheuen, welche jede stundenlange Session auf dem Stepper im Fitnessclub verblassen lassen. Und wo man in Funchal selbst dank alternativer Verkehrsmittel wie diverser Seilbahnen oder den „Carreiros do Monte“ – Holzschlitten, welche von zwei Herren gesteuert und gebremst werden und dank der extremen Steilheit der Strassen für eine rasante Talfahrt gebucht werden können – die Stufen teilweise noch umgehen kann, heisst es auf dem Rest der Insel „Zähne zusammenbeissen und durch“.
Zum Glück kann man sich auf Madeira bei anderen Aktivitäten immer wieder von den Wanderungen erholen: unsere Treks zwischen den zwei höchsten Berggipfeln „Pico do Arieiro“ und „Pico Ruivo“ (hin und zurück ca. 6 Stunden; 12 KM, 1’500 Höhenmeter), dem „Levada dos Cedros“ (ca. 7 KM, 300 Höhenmeter, 3 Stunden) und zum „Ponta do Furado“ (hin und zurück ca. 3 Stunden, 7 KM, 300 Höhenmeter; entlang der Küste) wurden aufgelockert durch Besuche der Natur – Pools von Porto Moniz (die Becken füllen sich durch die hereinbrechende Brandung), dem (kostenlosen) Skywalk von Cabo Girao, einem spektakulären Sonnenuntergang beim Ponta do Pargo und anderen kleineren Aktivitäten. Dabei soll natürlich auch ein weiteres Highlight nicht unerwähnt bleiben: das sensationelle Essen! Obwohl Vegetarier, welche keinen Alkohol trinken, wahrscheinlich verhungern und verdursten müssten, haben wir es uns bei „Espetadas“ (traditionelle Fleischspiesse), frischem Fisch, „Bolo de Caco“ (eine Mischung aus Fladen- und „normalem“ Brot, oft serviert mit hausgemachter Knoblauchbutter), „Poncha“ (Honig- und Zuckerrohrschnaps mit Zucker und Früchten), „Madeira – Wein“ (die hiesige Variante von Portwein), „grünem“ und „blauem“ Wein (wird aus sehr jungen Trauben gewonnen) gut gehen lassen.
Kommen wir zum einzigen Wehrmutstropfen von Madeira: die Insel hat, mit Ausnahme eines einzigen, künstlich angelegten und völlig überlaufenen Strand, keine wirklich schöne Bademöglichkeit. Da wir als routinierte Reisende natürlich sowas schon im Voraus wussten, hatten wir eine Lösung parat: wir fuhren mit der täglichen Fähre auf die – in unseren Kreisen weitestgehend unbekannte – Nachbarinsel Porto Santo. Und obwohl die gut 2-stündige Überfahrt mit nicht seefesten Touristen bei hohem Wellengang eine Tortur für Hör- (Geräusch von erbrechenden Menschen), Geschmacks- (Geruch von Erbrochenem) und Sehnerven (die ausgehändigten Kotztüten sind fast transparent, was einem einen eindrücklichen Einblick in die Mageninhalte der Mitreisenden beschert) war, hat es sich gelohnt: der sauberste, schönste und feinste Sandstrand ausserhalb der Südsee empfing uns. Zwar ist das restliche Angebot der Insel sowohl ess-, wie auch hoteltechnisch aufgrund der Unbekanntheit ziemlich eingeschränkt und unseren Mietwagen hätten wir für die gesamthaft etwa 30 Kilometer Strassennetz wohl auch nicht übersetzen lassen müssen, aber das war es wert! 9 Kilometer Strand für ein paar hundert Touristen! Keine „Liegestuhl an Liegestuhl – Situation“! Keine Zigarettenstummel, Dosen oder Becher am Strand oder im Wasser! Wir haben es sichtlich genossen und hoffen, dass sich die Insel dies noch lange so erhalten kann, auch wenn aufgrund der steigenden Zahl an direkten Charterflügen eine andere Entwicklung zu befürchten ist.